Die schrecklichen Morde von Solingen und Mölln verwiesen die Behauptung, militante Neonazis seien ein Problem der sogenannten Neuen Bundesländer endgültig ins Reich der Fabel. Deutschland bekam es mit wieder erstarkten rechtsradikalen Aktivistinnen und Aktivisten in Ost und in West zu tun. Die sich noch dazu in Windeseile vernetzten und ein enges Unterstützungsgeflecht für ihre Untaten knüpften. Nicht selten mit personeller und finanzieller Unterstützung des Verfassungsschutzes.
Der damalige Bundeskanzler Helmut Kohl sprach nach der Mordtat in Solingen von „Beileidstourismus”. Er wolle so etwas nicht. Für einen Besuch bei den Überlebenden des Anschlag stehe er deshalb nicht zur Verfügung. Durch seine Entwertung von Trauer und Gedenken konnten sich die Rechten der Straße geradezu bestätigt fühlen. Was war denn schon passiert? So wenig Entsetzliches offensichtlich, dass ein Kanzler der Bundesrepublik Deutschland nicht einmal einen Kondolenzbesuch für nötig hielt.
Solingen – dies unübersehbare Fanal der militanten Rassisten in Deutschland war schrecklich und hatte weitreichende Folgen. Spätestens in Solingen und aufgrund des ausbleibenden Aufschreis der Republik gegen dieses Verbrechen gewann die gemeinschaftlich agierende Neonazi-Szene die Kraft, einen NSU aufzubauen und ihn bei seinen Morden durchs Land tatkräftig zu unterstützen und zu begleiten.
Der Protest gegen die Untat von Solingen blieb den Migrantinnen und Migranten und einem überschaubaren Kreis von Antifaschisten und Antirassisten und einigen linken und liberalen Menschen Vorbehalten. Innenpolitiker und Polizei sahen ihre Aufgabe jahrelang darin, Demonstrationen in Solingen zur Erinnerung an den Brandanschlag zu behindern oder zu verbieten. Der Prozess zur Aufdeckung der Tat und besonders zur Entlarvung der Hintermänner aus den Reihen des Verfassungsschutzes wurde verschleppt und torpediert Aus heutiger Sicht ein widerwärtiges Vorbild für die Blockade des „Staatsschutzes“ bei der Aufklärung der NSU-Verbrechen.
Es hat beschämend lange gedauert, bis sich nennenswerte Teile der offiziellen Politik in diesem Lande dem Protest gegen die Tat von Solingen und der Trauer über die Opfer anschlossen oder ihn doch zumindest akzeptierten. Wenn jetzt, 25 Jahre danach, die Partei der Täter, die AfD, von der Bühne des Parlaments dieselben Hassparolen gegen Flüchtlinge und Migranten ins Volk schleudert, müssen wir bekennen: was für ein Versagen der Demokratie haben wir uns 1993 zuschulden kommen lassen. Umso größer ist die Verpflichtung, den Rassismus in all seinen Erscheinungsformen zu bekämpfen: ohne Wenn und Aber und ohne dass wir Schlupflöcher für Rechtfertigungen akzeptieren.