Günter Wallraff — 25 Jahre Solinger Brandanschlag

Die schreck­li­chen Morde von Solin­gen und Mölln ver­wie­sen die Behaup­tung, mili­tante Neo­na­zis seien ein Pro­blem der soge­nann­ten Neuen Bun­des­län­der end­gül­tig ins Reich der Fabel. Deutsch­land bekam es mit wie­der erstark­ten rechts­ra­di­ka­len Akti­vis­tin­nen und Akti­vis­ten in Ost und in West zu tun. Die sich noch dazu in Win­des­eile ver­netz­ten und ein enges Unter­stüt­zungs­ge­flecht für ihre Unta­ten knüpf­ten. Nicht sel­ten mit per­so­nel­ler und finan­zi­el­ler Unter­stüt­zung des Ver­fas­sungs­schut­zes.

 

Der dama­lige Bun­des­kanz­ler Hel­mut Kohl sprach nach der Mord­tat in Solin­gen von „Bei­leids­tou­ris­mus”. Er wolle so etwas nicht. Für einen Besuch bei den Über­le­ben­den des Anschlag stehe er des­halb nicht zur Ver­fü­gung. Durch seine Ent­wer­tung von Trauer und Geden­ken konn­ten sich die Rech­ten der Straße gera­dezu bestä­tigt füh­len. Was war denn schon pas­siert? So wenig Ent­setz­li­ches offen­sicht­lich, dass ein Kanz­ler der Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land nicht ein­mal einen Kon­do­lenz­be­such für nötig hielt.

Solin­gen – dies unüber­seh­bare Fanal der mili­tan­ten Ras­sis­ten in Deutsch­land war schreck­lich und hatte weit­rei­chende Fol­gen. Spä­tes­tens in Solin­gen und auf­grund des aus­blei­ben­den Auf­schreis der Repu­blik gegen die­ses Ver­bre­chen gewann die gemein­schaft­lich agie­rende Neo­nazi-Szene die Kraft, einen NSU auf­zu­bauen und ihn bei sei­nen Mor­den durchs Land tat­kräf­tig zu unter­stüt­zen und zu beglei­ten.

Der Pro­test gegen die Untat von Solin­gen blieb den Migran­tin­nen und Migran­ten und einem über­schau­ba­ren Kreis von Anti­fa­schis­ten und Anti­ras­sis­ten und eini­gen lin­ken und libe­ra­len Men­schen Vor­be­hal­ten. Innen­po­li­ti­ker und Poli­zei sahen ihre Auf­gabe jah­re­lang darin, Demons­tra­tio­nen in Solin­gen zur Erin­ne­rung an den Brand­an­schlag zu behin­dern oder zu ver­bie­ten. Der Pro­zess zur Auf­de­ckung der Tat und beson­ders zur Ent­lar­vung der Hin­ter­män­ner aus den Rei­hen des Ver­fas­sungs­schut­zes wurde ver­schleppt und tor­pe­diert Aus heu­ti­ger Sicht ein wider­wär­ti­ges Vor­bild für die Blo­ckade des „Staats­schut­zes“ bei der Auf­klä­rung der NSU-Ver­bre­chen.

Es hat beschä­mend lange gedau­ert, bis sich nen­nens­werte Teile der offi­zi­el­len Poli­tik in die­sem Lande dem Pro­test gegen die Tat von Solin­gen und der Trauer über die Opfer anschlos­sen oder ihn doch zumin­dest akzep­tier­ten. Wenn jetzt, 25 Jahre danach, die Par­tei der Täter, die AfD, von der Bühne des Par­la­ments die­sel­ben Hass­pa­ro­len gegen Flücht­linge und Migran­ten ins Volk schleu­dert, müs­sen wir beken­nen: was für ein Ver­sa­gen der Demo­kra­tie haben wir uns 1993 zuschul­den kom­men las­sen. Umso grö­ßer ist die Ver­pflich­tung, den Ras­sis­mus in all sei­nen Erschei­nungs­for­men zu bekämp­fen: ohne Wenn und Aber und ohne dass wir Schlupf­lö­cher für Recht­fer­ti­gun­gen akzep­tie­ren.

Solingen 1993 — Unutturmayacağız! Niemals vergessen!